Wenn Winfried Kretschmann als im Ländle und darüber hinaus weit gereister Politiker „schwer beeindruckt“ ist und seinen „großen Respekt“ zollt, muss er etwas Besonderes gesehen haben. Dass es sich sogar um etwas zurzeit Einmaliges handelt, wurde beim Besuch des grünen Ministerpräsidenten am vergangenen Freitag in Walldürn deutlich: Gemeinsam mit Minister Peter Hauk, Landrat Dr. Achim Brötel und Bürgermeister Meikel Dörr war Kretschmann der Einladung der Firma CONCAD gefolgt, um sich persönlich von der Innovations-kraft und dem Wachstumspotenzial des auf die Herstellung hochpräziser Bauteile spezialisierten Mittelständlers zu überzeugen. Abseits der zurzeit gefühlt allgegenwärtigen Hiobsbotschaften aus der deutschen Wirtschaft vergewisserte sich Kretschmann, dass es sie noch gibt in Baden-Württemberg: die „Hidden Champions“, die in der Öffentlichkeit kaum bekannten Weltmarktführer, jene Firmen, die als Arbeitgeber der Zukunft aus ihrer Branche herausragen.
Wie deutlich CONCAD sich von seinen oft finanzkräftigeren Mitbewerbern im In- und Ausland abhebt, erläuterte Geschäftsführer Klaus Schwab dem Ministerpräsidenten am Beispiel eines Prototypen, den das Unternehmen für die Weltraumforschung entwickelt hat. Mit dem Aluminium-Parabolspiegel aus Walldürn können Teleskope Strahlungen aus dem All viel exakter bündeln, als es bisher möglich war. Was in dieser Dimension visuell kaum noch begreifbar ist, veranschaulichte Klaus Schwab an einem Beispiel: „Wenn man ein menschliches Haar fünf Mal teilt – das ist die Präzision, mit der wir hier arbeiten.“ Eine Genauigkeit, die über die ohnehin schon anspruchsvollen Anforderungen der Kunden hinausgeht und in der Branche lange Zeit als nicht realisierbar galt.
Dem Team um Klaus Schwab ist es dennoch gelungen, die Grenzen des Machbaren noch einmal deutlich zu verschieben und sich dadurch eine Ausgangsposition zu erarbeiten, die dem Unternehmen auf Jahre hinaus volle Auftragsbücher bescheren könnte. Denn die von CONCAD entwickelte Technologie soll beim Aufbau des „Next Generation Very Large Array“ (ngVLA) eingesetzt werden, dem größten Observatorium in der nördlichen Hemisphäre. Dabei handelt es sich um rund 250 Antennen mit einem Durchmesser von jeweils 18 Metern, die in den USA die bislang leistungsstärkste astronomische Anlage aus Radioteleskopen bilden sollen.
In die Freude der CONCAD-Verantwortlichen über die Spitzenposition in einer hochtechnologischen Nische mischt sich jedoch die Sorge, dass es nun womöglich nicht gelingen könnte, nach der Entwicklung des Prototypen auch die Serienproduktion nach Walldürn zu holen. Vor allem zwei Probleme müssen noch aus dem Weg geräumt werden, damit die rund 18000 Spiegelteile in der Wallfahrtsstadt hergestellt werden können: Zum einen muss die Produktionskapazität deutlich ausgeweitet werden. Genügend Flächen in unmittelbarer Nachbarschaft zum bisherigen Werksgelände im Verbandsindustriepark sind dafür längst reserviert. Schwieriger dürfte es bei der Finanzierung einer solchen Investition werden. Ein gesamter Jahresumsatz in Höhe von zuletzt rund 18 Millionen Euro steht dafür derzeit als notwendiger Betrag im Raum. Summen, die vor allem internationale Wettbewerber leichter stemmen können. „Wenn wir es nicht schaffen, macht es ein anderer“, warnt Klaus Schwab. „Das darf nicht passieren. Das können wir hier im Ländle.“
Die eigentliche Hürde sieht er jedoch woanders: Um die Teile in Walldürn produzieren zu können und die Herstellung nicht in die USA verlagern zu müssen, wäre es aus der Perspektive von CONCAD hilfreich, wenn sich die Bundesrepublik Deutschland finanziell am Bau des ngVLA beteiligen und sich auf diese Weise ein gewisses Mitspracherecht sichern würde. Rund 250 Millionen Euro, verteilt auf zehn Jahre, müsste die öffentliche Hand wohl beisteuern – zwischen zehn und zwölf Prozent der Gesamtkosten in Höhe von voraussichtlich 2,5 Milliarden Dollar. Geld, das in Deutschland bleiben würde und somit einen doppelten Nutzen hätte: Neben der heimischen Wirtschaft würde auch die hiesige Forschung profitieren. „Wir könnten nicht nur mit machen. Wir hätten die Möglichkeit, in Deutschland Einfluss auf das Projekt zu nehmen“, betont Professor Matthias Kadler von der Fakultät für Physik und Astronomie in Würzburg. Beispielsweise darauf, dass in Deutschland zusätzliche Teleskope aufgestellt werden, um die Leistungsfähigkeit des gesamten Observatoriums zu erhöhen.
Um die politischen Entscheider vom Nutzen einer solchen Investition überzeugen zu können, hat Klaus Schwab schon vor einem Jahr damit begonnen, auf verschiedenen Ebenen für das Projekt zu werben. Im November 2023 besichtigte Dr. Florian Toncar, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, die Werkshallen von CONCAD. Einige Monate später folgte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, Andreas Schwarz. Auf lokaler Ebene intensivierte Bürgermeister Meikel Dörr den Austausch mit dem baden-württembergischen Wirtschaftsministerium. Weil dort die Angelegenheit zur „Chefsache“ erklärt wurde, schrieb Klaus Schwab einen Brief an den Ministerpräsidenten und lud ihn zum Besuch ein.
Dass Kretschmann trotz vollem Terminkalender nun tatsächlich und auch noch recht kurzfristig nach Walldürn gekommen ist, wertet nicht nur Klaus Schwab als hoffnungsvolles Zeichen. Auch Lutz Stenvers, Geschäftsführer der Firma Mtex Antenna Technology in Wiesbaden, blickt vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Mit seiner Firma ist er federführend an der Entwicklung der Teleskope für das ngVLA beteiligt. Auch seine Botschaft an den prominenten Besucher lautet: Um einen Verlust von Schlüsseltechnologie zu verhindern, braucht es die Unterstützung der Politik.
„Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Dann können wir viel bewirken“, sind Stenvers und Schwab überzeugt. Dass die Zeit allmählich drängt, daran lassen die beiden Ingenieure auch keinen Zweifel: „Wir müssen uns bis 2028 so platzieren, dass wir mitmachen können.“ Was eine konkrete Planung im kommenden Jahr und den Aufbau entsprechender Kapazitäten ab 2026 beinhaltet.